Ich war dann mal weg….
Wie mich die Liebe zum Weitwandern gefunden hat, durfte ich bereits in einem Bericht mit dir teilen. Da ich den südsteirischen Jakobsweg von Graz bis St. Anton am Arlberg schon erleben durfte, erwachte in mir auch der Wunsch, mal nach Santiago de Compostela zu gehen.
Wer hat nicht schon mal vom Jakobsweg nach Santiago gehört? Spätestens nach dem Film von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg…“ war dieser Weg vielen ein Begriff.
Nur leider kann ich mir im Moment noch keine 3 Monate Auszeit nehmen, um den Weg über die Pyrenäen (ca. 800km) zu wandern. Also musste eine andere Lösung her, die mich auch gefunden hat.
Der Küstenweg in Portugal von Porto bis nach Santiago de Compostela hätte nur ca. 230 km und wäre in 14 Tagen zu schaffen, ein Zeitrahmen, den ich mir gut vorstellen konnte.
Es gab einiges zu klären, das Universum oder wer auch immer wollte es genau wissen, wie stark mein Wunsch ist, für mich war es jedoch klar und somit startete ich am 26. März 2023 mit einem Flug nach Porto meine Reise.
„Zufällig“ ist mir am Tag zuvor noch mein „Ich hüte mal dein Haus“ – Engel über den Weg gelaufen, somit konnte ich meine Reise 1:1 mit meinen Kontakten via Whatsapp im Status teilen.
Wir sind von dort zu viert, ich mit drei Schweizer Damen, davon zwei selbstständig, eine davon schon seit Jahren in Spanien lebend, am folgenden Morgen los. Porto ist eine wunderschöne Stadt, wo du dir unbedingt ein paar Tage Besichtigungszeit einplanen solltest. Zum Glück haben dies meine Wanderkolleginnen gemacht und konnten mir einiges davon erzählen.
Da die Gruppenkonstellation neu war, durften wir uns erst erfahren, kennenlernen und uns die kommenden Tage leistungsmäßig ausloten. Unsere Gehstrecken lagen zwischen 18 km und 30 km, je nachdem, wie es möglich war.
Die ersten 8 Tage führten täglich am Atlantik an der Küste entlang, das Meer in seiner Kraft sehr beeindruckend, und jeder Tag fühlte sich schöner als der vorige an. Abwechslungsreiche Wege führten uns meist auf Holzstegen durch die traumhafte Vegetation. Auch mit hunderten Fotos könnte ich dieses Flair nicht vermitteln.
Unser 1. Quartier haben wir uns in Labruge genommen, wo natürlich gleich der Strand erkundet und mir die Kraft des Atlantiks bewusst wurde. „Ich geh nicht baden“ hat das Universum umgesetzt („nicht“ hat keine Energie und somit habe ich „ich geh baden“ bestellt ) und ich durfte die Erfahrung machen, dass dies auch mit Gewand möglich ist. 😊Endlich wieder einen Sonnenuntergang am Meer erleben zu dürfen war sehr ergreifend.
Zwischen Esposende und Vianado Castelo konnten wir uns an dem wunderschönen Strand mit den runden Steinen nicht sattsehen.
Unser 6. Reisetag führte über Wiese und Heide, ein neuer Anblick, welcher mein Herz erwärmte. Diese Pflanzenvielfalt war kaum zu erfassen.
Mit einem kleinen Bötchen (Nussschale) hatten wir uns in Caminha von Portugal nach Spanien verschiffen lassen und wanderten weiter bis zum Städtchen Oia, welches mit knapp 3500 Einwohnern für mich etwas sehr Gemütliches ausstrahlte.
Von dort nach Vigo ist es angeblich ein langer Marsch durch die Stadt, der aufgrund einiger Fußbeschwerden bis schlussendlich weiter nach Redondela mit dem Bus genommen wurde. (52 km lt. Navi)
Jetzt ging es ins Landesinnere, weg von Meer und Küste, wo uns ein wunderschöner Zauberwald beeindruckte. Wie in einer anderen Welt angekommen, fanden wir in Barro eine kleine Wohnung mit Waschmaschine, wo gleich mal Wäschepflege angesagt war.
Zu zweit machten wir uns am nächsten Morgen etwas früher als sonst auf den Weg und wollten gerne einmal eine schöne Tagesstrecke bewältigen. Kraft und Zeit gut einteilend wurde glücklich und mit uns selbst zufrieden nach einem 30 km-Tagesmarsch Padron erreicht.
Ab dieser Strecke nahmen wir auch mehr Pilger wahr, welche das gleiche Ziel – Santiago de Compostela – hatten. Hier war auch schon die Vorfreude spürbar und langsam wurde uns bewusst, dass wir übermorgen unser Reiseziel erreichen werden.
Morgens barfuß auf taunasser Wiese und die Mittagspause im Sonnenbad verbringend, verlief der vorletzte Wandertag sehr relaxed. Unser Weg führte durch Wald und Wiesen, farbenfrohe Blumen säumten den Weg und zur Einstimmung wurden wir mit Glockengeläute auf eine offene Kirche aufmerksam. An diesem Tag nutzten wir einige der vielen Angebote, Rast zu machen und uns kulinarisch zu verwöhnen. Mit einem Auge haben wir mit Santiago geliebäugelt, uns jedoch entschieden, doch in O Milladoiro einzukehren, um am Donnerstag frisch geduscht, ausgeschlafen und bei vollen Sinnen 😉 in Santiago einzuwandern.
Die Vorfreude war riesengroß, als morgens der Rucksack zum letzten Mal während dieser Reise für den Einmarsch in Santiago de Compostela gepackt wurde. Aufgeregt wie kleine Kinder schlenderten wir los, nahmen unterwegs ein gemütliches Frühstück ein und genossen das herrliche Wetter.
Inzwischen begegneten uns auch schon mehrere Pilger, mit mehr oder weniger schmerzhaften Füßen oder Knien. Da wurde mir richtig bewusst, wie gut wir diese Reise gemeistert hatten und war mächtig stolz auf meine Reisebegleitung, die fast ein Drittel mehr Tagesschritte als ich leisten musste. Dass die Ausrüstung, einige Wandertipps und Nahrungsergänzung in Kombination mit dem Healy Frequenzgerät das ihrige dazu beigetragen haben, lässt sich nicht verschweigen. Ich hatte fast Mitleid mit den gepeinigten Pilgern, bewunderte jedoch auch deren Ausdauer und Durchhaltevermögen.
Unsere Herzen klopften schneller, die Worte wurden weniger, die Augen noch aufmerksamer, die Schritte noch bedächtiger, fast schon ehrfürchtig näherten wir uns der Stadt, suchten mit unseren Augen die Gassen nach dem Weg direkt zur Kathedrale, welche vermehrt von Wanderern mit Rucksäcken und teilweise Wanderstöcken belebt war.
Dann stand sie vor uns, stolz, groß, in einem besonderen Sonnenlichte, die Kathedrale von Santiago de Compostela. Ich weiß nicht, wie lange ich dieses Gebäude bewundert und den Platz auf mich wirken hab lassen. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein…. ich denke, dass einem solche Momente den ganzen Aufwand, Schmerz und was sonst noch einige erfahren durften, vergessen lassen.
Wir gönnten uns ein uriges Quartier mitten in der Stadt und erkundeten diese, mit der Absicht, die Abendmesse zu besuchen. Da es der Gründonnerstag war, empfand ich diese als besonders feierlich, mit der Sonne im Rücken dem Herrgott, Schöpfer, Universum oder wem auch immer besonders nahe. Spätestens jetzt flossen die Tränen, befreiend, erleichtert und glücklich.
Relativ früh suchten wir unser Nachtlager auf, wobei meine Wanderkollegin und ich um 23 Uhr von Trommelschlägen geweckt wurden. Ich durfte bereits eine Osterprozession in Malaga erleben, woran mich diese Taktschläge erinnerten. Schnell war ich auf der Straße und auch schon mitten drinnen.
Unglaublich, welche Menschenmassen daran teilnahmen, Umzugsbeteiligte, zum Teil barfuß und mit einfachen Kitteln bekleidet, Mützen tragend, welche nur Augenschlitze hatten, und Besucher, die ehrfürchtig, still und leise den Umzug beobachteten und begleiteten. Ca. 30 Mann trugen im Gleichschritt auf einer Barre eine ca. 2,5 m hohe Holzfigur. Von diesen Gruppen gab es einige. Dazwischen immer wieder die Trommler…. ich wurde fast melancholisch…. und auch als ich schon fast wieder zurück im Quartier war, noch immer die Schwere in mir fühlend.
Ach, wie war ich froh, dass gegenüber unserem Quartier eine One Man Band mit der Gitarre das ganze Lokal zum Beben brachte. Ja, so feiern Spanier, lauthals wurde mitgesungen, meist in Englisch, mit Händen und Füßen kommuniziert – wenn überhaupt. Die Stimmung und der Gegensatz heftig, aber interessant. Glücklich und zufrieden, zumindest mit einem neuen Ohrwurm im Ohr, konnte ich meine letzte Nachtruhe in Santiago antreten.
Gelassen und sehr ruhig wurde am nächsten Morgen der Rucksack für die Heimreise gepackt.
Eigentlich wären die restlichen knapp 100 km nach Finesterra, bezeichnet als das Ende der Welt, auch noch interessant gewesen, aber die Sehnsucht nach meinem ersten Enkelkind und das Osterfest mit meiner Familie zu feiern, war größer.
Gemeinsam mit meiner Wanderkollegin nahmen wir uns ein Taxi zum Flughafen, ließen noch unsere Erlebnisse auf uns wirken und nahmen jede für sich die Flüge nach Hause.
Ein Zuhause, welches nicht mehr das gleiche war. Für mich haben sich einige Werte verschoben. Wie immer, nach einer längeren Wanderung, fällt mir das Eingliedern nicht leicht. Gut, dass mir die Osterfeiertage noch ein wenig Ruhe und Zeit für mich geschenkt haben. Ostern – das Fest der Auferstehung. So deutlich und stark wie heuer hatte ich es noch nie erlebt.
Danke für diese gigantische Erfahrung.